Mitte der 1860er Jahre verlor der amerikanische Arzt Dr. Andrew Taylor Still innerhalb kürzester Zeit vier seiner Kinder, drei starben an der damals grassierenden Meningitsepidemie und eins an Lungenentzündung. Unfähig ihnen zu helfen, zog sich A.T. Still ganz aus der sog. heroischen Medizin zurück und widmete sich erneut dem Studium. Die Philosophien mit denen er sich auseinandersetzte waren Magnetismus, die Medizinreligion der Shawnee – Indianer, Europäische Medizin, Knochensetzen, Mechanik- und Elektrizitätslehre und Evolutionstheorie.
Im Juni des Jahres 1874 stellte Still sein Konzept der Osteopathie vor. Darin folgert er, dass der Ursprung der Probleme meist im Knochen liege. Deswegen nennt er seine neu entwickelte manuelle Naturmedizin Osteopathie – Osteon (giech. Knochen) und Pahtos (griech. Leiden).
Später erkannte er, dass Blockaden und Bewegungseinschränkungen an allen Strukturen des Körpers auftreten und zu Beschwerden und Krankheiten führen können. Der Name Osteopahtie blieb trotzdem bestehen.
Osteopathie ist eine eigenständige Form der Medizin, die für die Untersuchung und Behandlung nur die Hände nutzt, also sanfte manuelle Techniken einsetzt. Ihr Ziel ist das Lösen von Funktionsstörungen, um die Selbstheilungskräfte des Organismus zu aktivieren und dessen Selbstregulation wiederherzustellen. Dabei wird der Patient immer in seiner Ganzheit erfasst und respektiert.
Osteopathie basiert auf der präzisen Kenntnis medizinischer Grundlagenfächer wie Anatomie, Physiologie, Pathologie, Biomechanik und Embryologie.
Drei Säulen der Osteopathie
In der Osteopathie wird immer der gesamte Organismus als Einheit untersucht und behandelt. Je nach Beschwerden kann dabei ein Teilbereich im Vordergrund stehen.
Parietale Osteopathie – strukturell, funktionelles System
Schwerpunkt der ersten Säule ist der Bewegungs- und Stützapparat (z.B. Wirbelsäule, Gelenke, Muskeln, Sehnen und Bänder)
Typische Indikationen:
- Rückenschmerzen
- Bandscheibenprobleme
- Schulter-/ Nackenschmerzen
- Schleudertrauma
- Verstauchungen
Viszerales System
Der zweite Pfeiler der Osteopathie beschäftigt sich mit den inneren Organen, Faszien, Blut- und Lymphgefäßen sowie Nervenbahnen.
Typische Indikationen:
- Verdauungsbeschwerden
- Atembeschwerden
- Kreislaufbeschwerden
- Narben
- Regelschmerzen
- Begleitung der Schwangerschaft
Craniosacrales System
Im Mittelpunkt stehen Schädel (Cranium), Kreuzbein (Sakrum) Wirbelsäule und die darin enthaltenen Membranen und Strukturen des peripheren und zentralen Nervensystems.
Typische Indikationen:
- Kopfschmerzen
- Skoliose
- Nebenhöhlenentzündung
- Mittelohrenentzündung
- Kieferfehlstellungen
- Schädelasymmetrien
- Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung
Osteopathie kann je nach Beschwerden Mittel der Wahl sein oder begleitend helfen. Osteopathie ist aber kein Allheilmittel. Sie ist nicht angezeigt in der Notfallmedizin, bei schwerwiegenden, infetioösen Erkrankungen, bei Tumorerkrankungen und bei psychischen Problemen.
Osteopathie bei Kindern
Die Kinderosteopathie ist eine Spezialisierung innerhalb der Osteopathie. Um Säuglinge und Kinder zu behandeln, ist es wichtig, die Entwicklungsstufen genau zu kennen. Das Wissen um die normale sensorische, emotionale und neurologische Entwicklung des Kindes und die speziellen Kinderpathologie ist notwendig, um Kinder adäquat behandeln zu können. Dann sind Störungen im Schwangerschaftsverlauf gut zu erkennen und zu behandeln.
Auch können Schwierigkeiten bei der Umstellung der Körperfunktionen des Neugeborenen, wie beim selbstständigen Atmen und der Nahrungsaufnahme, gut osteopathisch behandelt werden. Gezielte Schulung als Kinderosteopath bedarf es auch, um die unterschidlichen Gewebe und Strukturqualität während des Wachstums zu beurteilen und zu behandeln.
Ein pädiatrisch arbeitender Osteopath verbindet diese Kenntnisse mit seinen palpatorischen Fähigkeiten und wendet sehr sanfte Techniken an, um den Kindern zu einem verbesserten Gleichgewicht und somit zu Wohlbefinden und Gesundheit zu verhelfen. Da unser Kleinkinder nicht durch die Sprache vermitteln können, wo ihre Probleme liegen, ist die sorgfältige Überprüfung des gesamten Körpers bei der osteopathischen Behandlung eine große zusätzliche Hilfe in der Beurteilung des Zustands kleiner Patienten.
Ein Kind, das keine ganz komplikationslose Geburt erlebt hat, das viel schreit, obwohl seine Grundbedürfnisse wie Schlaf, Essen, die richtige Raumtemperatur und eine saubere Windel erfüllt sind und es ihm scheinbar an nichts fehlt, ist aus osteopathischem Blick ein behandlungsbedürftiges Kind, dem häufig schnell und wirksam geholfen werden kann. Viele Beeinträchtigungen lassen sich mit ein oder zwei osteopathischen Behandlungen korrigieren.
Indikationen einer pädiatrischen Behandlung:
- Schwangerschaft- und Geburtskomplikationen
- Wachstumsstörungen, Entwicklungsverzögerungen (ADS, Lernschwierigkeiten)
- Verdauungsbeschwerden (Koliken), Urogenitalbeschwerden (Inkontinenz)
- Schädelasymmetrien, Kieferfehlstellungen
- Allergien
- Emotionale Traumata (z.B. Geburtstraumata)